Im März war eine Arbeitsgruppensitzung in der acatech Geschäftsstelle nicht nur eine besondere, weil Mitglieder der AG 1 und AG 3 („Baustoffe, Konstruktion und Energie“ und „Transformation und Umsetzungsstrategien“) das erste Mal gemeinsam tagten. Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter, Co-Leiter der AG 1, eröffnete das Treffen mit einem kurzen Themenimpuls: In seiner Funktion als Vorsitzender des DIN-Normenausschusses Bau und Mitglied des DIN-Sonderpräsidialausschusses Bauwerke (SPB) gab er einen Überblick über die Funktion der Normierung im Bauwesen sowie die aktuelle Gremienarbeit im Kontext des DIN e. V.
Normung zwischen Kostenfaktor und Vereinfachung
Aktuell steht die Normung unter Druck, da Vorwürfe laut werden, sie würde das Bauen verteuern – unter anderem durch Einflussnahme der Bauindustrie. „Normung ist notwendig für das Bauen“, betonte Stefan Winter. „Sie kann Bauen potenziell vereinfachen und damit auch günstiger machen – wenn sie zielführend erarbeitet wird. Wichtig ist aber auch zu wissen: Normen definieren nicht die Anforderungen an den Bau, sondern wie etwas gebaut wird.“ Er verdeutlicht dies an einem Beispiel aus dem Schallschutz: Anstatt ein bestimmtes Komfortniveau zwingend vorzuschreiben, sollte die Norm festlegen, wie unterschiedliche Schallschutz-Niveaus ausgestaltet werden können. Natürlich müssten weiterhin grundsätzliche Mindestanforderungen an Gesundheits- und Sicherheitsschutz erfüllt werden.
Ziel der Normungs-Roadmap Bauwerke
Zu den Zielen der DIN-Normungs-Roadmap Bauwerke gehört, technische Mindestanforderungen klarer zu benennen und von höheren Anforderungen an Komfort oder Ästhetik zu unterscheiden. An Baumaterialien wie Beton werden solche technischen Mindestanforderungen etwa zur Tragfähigkeit oder zur Bauausführung gestellt. Diese werden in verschiedenen DIN-Normen festgelegt. Darüber hinaus existieren spezifische Nutzeranforderungen, zum Beispiel an die Ästhetik von Sichtbeton, die ebenfalls mittels Normen in verschiedene Sichtbetonklassen unterschieden werden. Neben den Normen zur Bauart gibt es auch Bemessungsnormen, die festlegen, wie Berechnungen – etwa zur Statik und Tragwerksplanung – durchzuführen sind.
Handlungsbedarf bei der Normung im Bestand
Da sich das Bauen zunehmend vom Neubau auf das Bauen im Bestand verlagert, braucht es laut Stefan Winter dringend Normen, die die Beurteilung der Festigkeit gebrauchter Bauteile ermöglichen – ein Bereich, in dem noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Auch die Verlagerung zu mehr Vorfertigung in Fabriken, etwa bei seriellen Bauweisen, würde zu Normungsbedarf für die Qualitätssicherung führen.
Stefan Winter sprach sich deutlich für eine bessere Aufklärung über die Funktion von Normen im Baubereich und somit für einen besseren künftigen Umgang in der Politik und in Fachkreisen aus. Er begrüßt den Ansatz einer Folgekostenabschätzung neuer Normung, wenngleich sich diese aktuell oft nur auf den Neubauwert beziehen und mangels ausreichender Daten den Lebenszyklus (noch) nicht berücksichtigen. Insgesamt sei es wichtig, Fachleute trotz des Kosten- und Zeitaufwands dazu zu bewegen, diese Arbeit in Gremien zur Normung zu leisten und so gemeinschaftlich und konsensuell technische Regeln festzulegen.
Diskussionsrunde der AG-Mitglieder: Transparenz und juristische Herausforderungen
Im Nachgang des Impulses wird von einigen Teilnehmenden hinterfragt, ob tatsächlich so viele Normen benötigt werden. Die Anzahl steige stetig an und greife immer mehr in die Praxis ein. Beim Verkauf von neu gebauten Wohnungen im höheren Preissegment kommt es deshalb immer wieder zu Klagen, wenn hochpreisige Wohnungen als „exklusiv“ vermarktet, aber beispielsweise beim Schallschutz nur mit Mindeststandard ausgestattet wurden. Laut Gerichtsurteilen stellt die Vermarktung als „exklusiv“ eine verbindliche Zusage hinsichtlich des erhöhten Wohnkomforts dar, welcher nicht über den Mindeststandard abgedeckt wird. Eine Abweichung müsse prominent in der Leistungsbeschreibung formuliert werden. In der Praxis würden sich dadurch Prioritäten am Bau verschieben und Kosten an anderen Stellen eingespart, bei denen keine Rechtsurteile aufgrund bestehender Normierung vorliegen.
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